Im kollektiven Kotau

Von Dieter Buchelt

 

 

Wir Deutschen haben schon unsere Grundsätze, wenn es die eigene, so problembeladene Geschichte betrifft.

 

„Und das ist auch gut so", könnte so­fort Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit beipflichten, denn eine Leugnung von Verbrechen der Nazizeit beispielsweise ist nicht nur ein ungeheurer Tabubruch, sondern wird auch strafrechtlich ver­folgt.

 

Ebenso das Ausstellen und Tra­gen faschistischer Symbole. Dieser Grundsatz politischen Selbstverständ­nisses treibt allerdings mitunter recht skurrile Blüten.

 

Als zu Filmaufnahmen für einen historischen Streifen in der Berliner Innenstadt Wehrmachtssolda­ten und Hakenkreuzfahnen samt ihren Trägern zu sehen waren, erhob sich so­fort Protest von hoher Seite. Ein nicht näher benannter Regierungspolitiker der großen Koalition meinte, so etwas könne man unseren ausländischen Gäs­ten oder gar Mitbürgern im Hinblick auf die deutsche Geschichte nicht zu­muten.

Dabei wurde doch schon vor­sorglich die Hauptrolle des Adolf Hitler mit dem "Katzeklo-Barden" Helge Schneider besetzt, um dem ganzen Un­ternehmen jegliche politische Brisanz zu nehmen.

 

Ja, ja - mit der Geschichte ist das so ei­ne Sache. Als am Berliner Ex-Grenzübergang CHECKPOINT CHARLIE unter gro­ßem Polizei- und Sicherheitsaufgebot die Berliner Mauerkreuze abgebaut wurden, die die Mauermuseums-Direktorin Alexandra Hildebrandt einige Monate zuvor tapfer gegen Widerstände aufwändig aufgestellt hatte, war das keine große Aufregung wert und die Protestierenden wurden sicherheitshal­ber weit auf Abstand gehalten.

Einzig Berlins Katastrophen-Seelsorger Pater Vincens (Hoffmann) SDS (langjähriger legendärer Seelsorger im Tegeler Gefängnis) kam in den Morgenstunden mit Weihwasser vorbei und weihte die Kreuze noch vor dem Abbau.

 

Berlins regierende Koalition sah diese private Initiative bei der an einem Nachbau der Berliner Mauer jedem dort Umge­kommenen ein schwarzes Holzkreuz gewidmet war, ohnehin als peinliche Erinnerung an die deutsch-deutsche Geschichte. Daher war auch die „Vertröstung" des Bürgermeisters, ir­gendwann und irgendwo einen Ersatz­standort zu finden, nur ein Hinausschie­ben auf den Sankt Nimmerleinstag.

 

Im Frühling zogen  2.000 türkische Nationalisten durch die Berliner City West. Sie bestreiten schon seit langem vehement und jetzt auch militant den Völkermord an den Armeniern zu Zeiten des 1. Welt­krieges, in dessen Verlauf eine Million Menschen starben. Geschützt wurde diese politische Demonstration durch ein großes Polizeiaufgebot. Größere Proteste gegen diese Geschichts­fälschung - Fehlanzeige.

 

Die politische Öffentlichkeit schaute weitgehend weg, wahrscheinlich aus Angst vor Auseinandersetzung oder gar unbere­chenbarer Konfrontation. Und so ist auch der „Karikaturenstreit" nur ein Symptom dieser Entwicklung, bei der mit diesem KOLLEKTIVEN KOTAU die beste Voraussetzung zur politischen Erpressbarkeit gegeben wird.

 

Die Schere im Kopf, ein Synonym für vorauseilenden Gehorsam und politi­sche Angepasstheit - ursprünglich untrügliches Kennzeichen undemokrati­scher Gesellschaften - diese Schere im Kopf, sie klappert recht munter.

 

D.B.

 (E.A.M.  aktualisiert 04.04.2021)

Kommentare: 2
  • #2

    Christoph Bauer (Mittwoch, 25 Oktober 2017 05:28)

    So kurz diese Glosse auch ist, so treffend, klar und witzig ist sie! Ein echter "Dieter Buchelt".
    Sowas ähnliches wieder ist gefragt, auch gerne in diesem soliden Medium.

  • #1

    Richard Reimer (Freitag, 05 Februar 2016 02:43)

    Die Glosse "Im kollektiven Kotau" des DJV-Journalisten Dieter Buchelt ist schon legendär und war schon in Ost-Berliner Blatt aus dem Prenzlauer Berg ein sehr beachteter Artikel. Schön, dass er modernisiert auch inzwischen in diesem kommunikationswissenschaftlichen Magazin Einzug gefunden hat. "vorauseilender Gehorsam", wie Dieter Buchelt ihn hier beleuchte, hat uns oft in Abgründe geführt.
    Weiter, Herr Buchelt!