Ostalgie - oder neue Geschäftsfelder?

Trends: Ostalgie oder neue Geschäftsfelder?

 

Von Dieter Buchelt


Siebenhundertundfünfundsiebzig Jahre alt wird unsere Stadt in diesem Jahr. Da nehmen sich die 40 DDR-Jahre, die auch Berlin mitprägten, eher bescheiden aus. Doch als am 3. Oktober 1990 die Einigung vollzogen wurde, waren zwei Dinge klar: Zu einem 41. Geburtstag des kleinen deutschen Staates hatte es nicht mehr gereicht, und fortan war der Osten ein abgeschlossenes Sammelgebiet, wie bei Briefmarken etwa.

 

Und es dauerte nicht lange, dass Wendungen wie „Das war noch zu Ostzeiten“ oder „Das stammt noch aus der Ostzeit“ gängige Floskeln für einen bestimmten Zeitabschnitt neuerer deutscher Geschichte wurden. Damit konnte eine Entwicklung einsetzen, die teils mit ostalgischer Verklä­rung einherging, aber in letzter Zeit eine gewisse Wertsteigerung erfuhr. So hatte schon vor Jahren das OSTEL, ein Hotel am Ostbahnhof, für recht viel Geld alte Ost-Tapeten nachdrucken lassen, damit sich Gäste in einem „real-sozialistischen Ambiente“ stilecht wohlfühlen können. Viele Besucher der Stadt, meist als Touristen bezeichnet, suchen ganz gezielt nach Erinnerungsstücken aus dieser Epoche und befinden sich damit in einem gewissen Wettlauf mit der Zeit. Denn gerade bauliche Umbrüche verändern immer schneller das Gesicht der Stadt. 

 

So wird es auch demnächst einem riesigen Garagenhof in der Straßburger Straße ergehen, der einem Neubau­kom­plex mit Eigentums- und Mietwoh­nungen weichen muss. Bis zum Jahres­ende haben die Nutzer verschiedener Werkstätten und Ateliers noch Zeit, ihre Sachen zu packen. Die alte Uhr im Hof steht bezeichnender Weise bereits auf 3 vor 12! Vorfristige Planerfüllung, hätte das noch zu Ost-Zeiten bedeutet, denn normal wäre ja 5 vor 12, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht. Immerhin, der Bezirksbürgermeister soll schon mal vorbeigeschaut haben, um sich zu informieren, wie alles so läuft … Auch die kleine Kunstausstellung stedefreund wartet auf letzte Besucher und muss sich bald ein neues Domizil suchen.

Doch zurück zur Ostalgie. Wenn man den Medien trauen darf, und wann kann man das schon, erfährt die Ostalgie zur Zeit einen Aufwärtstrend, sie ist IN sozusagen.


Aber vielleicht sind das auch alles nur Zweckbehauptungen, um neue Ge­schäfts­felder zu erschließen. Nachfor­schungen im Internet ergeben, dass sich die Ostalgie in Prenzlauer Berg zumeist über Speisen und Getränke definiert. Das „Mauerblümchen“, eine Kneipe mit Vorgarten in der Wisbyerstraße, gibt es schon seit Anfang der 90er-Jahre, und „Bei Muttern“ in der Scherenbergstraße, früher eine Pizzeria, gibt es deutsche Küche mit ostdeutschem Einschlag und selbstverständlich eine Traditionsecke. Bäckereien werden gepriesen, wo es noch „Ostschrippen“ geben soll, oder einen Laden, der kuriose Süßigkeiten aus aller Welt anbietet, dabei auch eine „Ostalgie-Tüte“ mit Süßigkeiten aus der DDR-Zeit. Und das war´s dann  schon. Doch bereits wenn man dem Tipp eines Besuchers folgen will und den „Klub der Republik“ in der Pappelallee 81 sucht, wird es schwierig. Wie hatte der doch geschwärmt: „rein über den flauschigen Teppich und schon ist man drin. Ostalgie pur. Ich mag´s, manchmal zumindest. Oft ziemlich voll …“, so Christians Beschreibung. Doch keine Hausnummer auszumachen, dafür ein in Gerüste gehülltes altes Haus, mit Großfoto dahinter, wie schön das spätere Haus aussehen wird. Zu spät gekommen. Aber vielleicht nicht zu spät um eine der entstehenden Wohnungen zu kaufen oder zu mieten.

 

Wenn es den Ostalgie-Trend wirklich gibt, liegt der Prenzlberger Wolfgang Wündsch völlig richtig. Der hatte zu seinem neuen Programm FRITZ DER TRAKTORIST in das DDR-Restaurant „Dom­klause“, gegenüber vom Berliner Dom eingeladen. Dabei verband sich auch hier vortrefflich kulturelle Erbauung durch Erinnerung mit kulinarischen Genüssen. Nicht umsonst lautete der Untertitel „Zwischen Jägerschnitzel & Schlagersüsstafel“. Jeder Gast hatte folglich eine Schlagersüsstafel (Schoko­lade mit Nüssen) auf seinem Platz als Gastgeschenk. Und nichts davon blieb bis zum Ende der Veranstaltung unberührt liegen. Dafür hatten dann die in der Spielpause gereichten traditionellen DDR-Speisen und Getränke eine gewisse Wertsteigerung erfahren. Das Jäger­schnit­zel mit Spirelli lag dabei mit 8,40 Euro im Mittelfeld.


Immerhin, die Fortsetzung des Spruches „Fleißig, fleißig, unsere DDR wird 30“ kannte sie auch nicht. Der oft beschworene Volksmund hatte dem noch angehängt: „Die Armen loofen sich ´n Wolf – die Reichen koofen sich ´n Golf“. Das hätte auch vom Eckensteher NANTE sein können. Damals, als Golf-PKWs in begrenzter Zahl in die DDR importiert wurden, 10 Jahre vor dem Mauerfall.

Neue Geschäftsfelder hin oder her, die Problemfelder der heutigen Zeit sind anders bestellt. Es geht heute in Prenz­lauer Berg nach dem Wegfall staatlicher Förderungen in Sanierungsgebieten und der Freigabe von Schutzzonen, haupt­sächlich um die Bewahrung von bezahlbarem Wohnraum. Und um die Frage, wieviel Areale sollten für wohnortnahe Dienstleistungen zur Verfügung stehen. Sind doch alte Fabriketagen, Brauereien und Garagenhöfe Nährboden mit Poten­tial für Dienstleister, Künstler und auch Spielplatz für Leute mit Ideen und wenig Mitteln.

Viele dieser noch vorhandenen Nischen sollten genutzt werden können von kreativen Bewohnern jeglicher Herkunft. Der Prenzlauer Berg, im Ursprung seiner großen Anziehungskraft, war immer ein Ort der Gemeinsam­keit unterschiedlicher sozialer Schich­ten – und das sollte auch so bleiben.

 

Dieter Buchelt im September 2012

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