Eine Jugend in der DDR: Jens Bisky erinnert sich

Von Sarah Bergmann

 

Wer in der BRD aufgewachsen ist, den befremdet es, von Menschen zu lesen, die – mitten im Deutschland des 20. Jahrhunderts – Eisblöcke als Kühlschrank nutzen oder ein Auto fahren, dessen Batterie im Winter in der Wohnung übernachten muß. Lothar Biskys ältestem Sohn, Jens Bisky, der in seiner autobiographischen Erzählung “Geboren am 13. August – Der Sozialismus und ich” auf dreiund-zwanzig Jahre DDR-Kindheit und -Jugend zurückblickt, ist dabei aber vor allem eines fremd: das System und seine eigene Rolle darin.

 

Nach der Wende wurde Bisky oft gefragt, ob bzw. inwieweit er sich dem System angepaßt habe. Doch die Frage ist falsch gestellt. Jens Bisky war weder Dissident noch Mitläufer, sondern er war wie seine Eltern überzeugter Sozialist.

 

Bekanntermaßen gibt es aber zweierlei Sozialismus: den idealen und den real existierenden. Die Funktionäre des Staatsapparats werden von Bisky schon früh mehrheitlich als Langweiler, Hampelmänner, aufgeblasene Popanze oder seelenlose hardcore Dogmatiker erlebt. Auch entgeht ihm nicht, daß in der DDR vieles nicht so läuft wie es ei-gentlich sollte, aber um der übergeordneten Idee des Sozialismus willen wird gerecht-fertigt, was nicht zu rechtfertigen ist.

 

Von echter Begeisterung für die DDR ist hier also ebenso wenig zu spüren wie von ernsthafter kritischer Auseinandersetzung oder dem Versuch Veränderungen herbeizuführen. Man erhält vielmehr den Eindruck, daß sich Jens Bisky doch recht opportunis-tisch vom System vereinnahmen läßt. Er bekleidet hohe Ränge unter den Pionieren und später als FDJ-ler, wird Parteimitglied, und das Buch vermittelt den Eindruck, er wisse selbst nicht recht warum. Es zeugt jedoch von Aufrichtigkeit, daß sich Bisky nicht um seitenlange Erklärungs- und Rechtfertigungsversuche bemüht, sondern einfach nur be-schreibt, wie leicht man aufgrund des ideologischen Konsenses Teil eines falschen Systems werden kann.

 

Das junge Alter mit seinen weltanschaulichen Unsicherheiten und dem daraus entsprin-genden Bedürfnis nach Führung mag zu dieser Passivität nicht wenig beigetragen haben. Denn in der turbulenten Wendezeit, die in “Geboren am 13. August” sehr persönlich, aber auch mit feinem Gespür für den Zeitgeist geschildert wird, erlebt man dann plötz-lich einen engagierten Jens Bisky, der als Journalist unangenehme Fragen formuliert und auf Parteiversammlungen gewagte Anträge stellt.

 

Doch vor dieser Zeit des Aufbruchs und der Befreiung liegen noch Jahre des Doppel-lebens und der “Schizophrenie.”

Jens Bisky, der regimetreue Agitator, schließt sich der Schwulenszene an und lernt dort “Konterrevolutionäre mit menschlichem Antlitz” kennen, er befreundet sich mit Men-schen, die die DDR abgrundtief hassen und keinen anderen Gedanken haben als: bloß weg von hier.

 

Ein Schlüsselerlebnis hat Bisky bei einem Besuch in Polen. Er wird zu einer Kirche ge-führt, in der ein polnischer Priester gepredigt hatte, bevor er von der polnischen Geheimpolizei ermordet wurde. “Rings um die Kirche hingen Solidarność-Transparente, überall hingen Kerzen. Den Eindruck kann sich heute kaum einer vorstellen. Einen Schock dieser Intensität habe ich nie wieder erlebt.”

 

Doch Bisky zieht keine Konsequenzen. Um einen Studienplatz in Nahostwissenschaften zu erhalten, verpflichtet er sich vier Jahre als Offizier zu dienen. In der NVA lernt er ein gnadenloses Unterdrückungssystem kennen, das egoistisches Verhalten und maximale Anpassung geradezu überlebensnotwendig macht.

 

Das Ende der DDR-Diktatur kommt für Jens Bisky wie für so viele andere als eine Befreiung. Doch es kommt auch als böses Erwachen. Wahrheiten über die DDR werden zutage befördert, die sich ihre Einwohner nie hätten träumen lassen. Es ist mutig, daß Bisky die Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Staates, die so eng mit seiner eigenen verknüpft ist, nicht scheut.

 

Auch ist ihm dabei sein Humor nicht verloren gegangen, wie viele Stellen in “Geboren am 13. August” bezeugen. Alles in allem aber ist das Buch eine schonungslose Abrechnung mit einem Staat, der aus seiner heutigen Sicht “von Anfang an eine Totgeburt war.”

 

S.B.

 

 

Jens Bisky: Geboren am 13. August. Der Sozialismus und ich. Rowohlt Berlin Verlag. Berlin 2004

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