Clubs - Hereinspaziert - wir müssen schließen

Clubs: Hereinspaziert, wir müssen schließen!

 

Von Dieter Buchelt

 

Ein neues Freizeit-Spiel macht derzeit in meinem Freundes- und Bekanntenkreis die Runde: So­bald eine größere noch nicht bebaute oder zwischengenutzte Fläche geräumt wird, werden Wetten abgeschlossen, wer was als nächstes darauf errichten darf.

 

Um mehr „Masse“ zu haben, sind auch geschlossene Läden, kulturelle sowie soziale Einrichtungen im „Portfolio“ der Wett-Teilnehmer enthalten. Auslöser für dieses „Gesellschaftsspiel“ war wohl das krampfhafte Bemühen des ZDF, für sein Uralt-Spektakel „Wetten, dass ...?“ einen neuen Moderator zu finden. Diese Wette ist noch offen. Doch während die Mode­rato­rensuche immer am Rande der Lächer­lichkeit entlang schrammt, geht es bei den anderen Objekten meist um die Existenz.

Leben ist Veränderung. Mit diesen drei Worten fasste der österreichische Sänger Falco sein Credo zusammen. Das gilt mit zum Teil atemberaubender Schnelligkeit für Berlin und für den Prenzlauer Berg im besonderen. Die vielfältige Kul­tur- und Kneipenszene war einst Auslöser für eine große Zuzugs­wel­le, die mit zahlreichen Begehr­lichkeiten einher ging. Hoch­prei­siges Wohneigentum wurde in Neu­bauten zwischen bestehende Bau­subs­tanz gedrückt. Jetzt wird feinjustiert. Kürzungen im sozial-kulturellen Bereich oder gar deren gänzlicher Wegfall, auslaufende und nicht verlängerte Mietverträge, Mietpreisan­he­bun­gen, die auch „freiwillig“ zur Auf­gabe führen, sind die gängigen Metho­den, diese Veränderungen in Gang zu setzen. In­zwischen wird sogar von einem Club­sterben in Prenzlauer Berg gesprochen, einem Anachronismus für einen Szene­bezirk. Zum Ende des Jahres erwischt es das ICON, kurz nach seinem 15-jährigen Bestehen in Prenzlberg. 

Bereits ein Jahr zuvor hatte das Bezirks­amt den Betreibern die Betriebs­er­laub­nis entzogen. Bewohner des angrenzenden Neu­baus, mit freiem Balkonblick auf das gegenüberliegende Stadiongelände, hatten sich über angeblichen Lärm vor dem Eingang des Clubs beschwert. Eine neue Nachbarin soll dabei regelmäßig die Club-Gäste vom Balkon aus fotografiert haben. Nach massiven Besucherprotesten musste die Ent­schei­­dung zurückgenommen werden. Doch jetzt soll es trotz anders lautender mündlicher Zusa­gen des Ver­mieters keine Verlän­ge­rung des Vertrages geben. Mit der Silvester­party ist Zapfen­streich für Be­trei­ber Lars Döring und seine Mit­streiterin Pamela Scho­­beß. Und Presse­stim­men wie diese vom freshguide aus dem Jahre 2010 wir­ken wie aus dem Ge­schichtsbuch: „Stets qualitativ und innovativ wurde der kleine, feine Club in der Cantian­straße mit Beschei­den­heit und hochkarätigem internationalen Programm zur festen An­laufadresse für Kenner und Genießer aus dem In- und Ausland. Anstatt Trends hinterherzulaufen wurden sie hier gesetzt.“

 

Will mich selbst von der Atmosphäre in dem als Geheim­tipp gehandelten „Monu­ment des an­spruchs­­vollen Party­sounds“ überzeugen. Ein Bekannter, lange Zeit selbst DJ, hatte dort einen Wochenend­termin vor Weihnachten ausgemacht und wollte auch noch vorbeischauen. Vor der klitzekleinen Eingangstür Toten­stille, das große Gittertor der angrenzenden Wohn­anlage geschlossen, die Straße menschenleer. An der graffiti-geschmückten Tür ein Aufkleber   „Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, der letzte Club abgerissen, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg die Kleinstadt geworden ist, aus der ihr mal geflohen seid!“

In den Club komme ich trotzdem nicht hinein – schade. Immerhin treffe ich noch einen Bewohner des Nachbar­hau­ses. Der wundert sich über die vermeintliche Lärmbelästigung vor dem Club, eher sei es im Sommer laut aus Richtung der Terrasse des gegenüberliegenden Restau­rants gewesen.

 

Enttäuscht wegen des geplatzten Treffs laufe ich die Cantianstraße entlang zur Gleimstraße. Dort stoße ich auf eine gemüt­liche Eckkneipe im Altberliner Stil, auch schon eine Rarität. Bei einem Bier an der Theke komme ich mit einem Stammgast und der Wirtin ins Gespräch. Ja, hier wären sonst immer junge Leute vorbeigekommen, die das ICON suchten, manche seien zu Gästen geworden. Und dann wird über Clubs „gefachsimpelt“, die oftmals nur noch in der Erinnerung existieren. Der legendäre KNAACK-CLUB in der Greifswalder Straße wurde im 59. Jahr seiner Existenz geschlossen, An­woh­ner eines Neubaus hatten erfolgreich geklagt. Vor anderthalb Jahren ver­zog sich der benachbarte MAGNET-CLUB nach Kreuzberg. Jahre vorher hatte es schon das CASA, Ecke Greifswalder/ Marienburger Straße ereilt. Das Sozio­kulturelle Kiezzentrum, 1990 gegründet, mit Schülerladen, Kre­ativ­projekten, Band-Proberaum, Gast­stätte und ca. acht musikalischen Veran­staltungen pro Monat bei freiem Eintritt, musste letztendlich einem Automaten-Casino weichen. Auch der KLUB DER REPUBLIK in der Pappelallee macht im Februar dicht. Der Neumieter einer Dach­geschoss­wohnung des Nachbar­hau­ses hatte dem KLUB die von ihm herbeigerufene Polizei zu Dauergästen gemacht.

Der Verband der Berliner Club-, Party- und Kulturereignisveranstalter, „Club­kommis­sion“, zieht seit Jahren gegen die Verdrängung der Clubs zu Felde. Erste Erfolge könnte das „Musicboard“ erzielen, eine Einrichtung zur Förderung der Musikszene, beschlossen in den Koali­tions­verhandlungen zwischen SPD und CDU. Eines der Ziele: Einbeziehung in die Planungen zur Stadtentwicklung ... doch bis das Wirkung zeigt, sind auch die letzten namhaften Clubs verschwunden. Denn ein weiteres Damoklesschwert schwebt über den Clubbetreibern. Das Finanzamt fordert von etwa 20 Clubs eine Nachzahlung der Umsatzsteuer: Statt des ermäßigten 7 %- Satzes,­­­ satte 19 %, teilweise rückwirkend bis 2006. Wer will unter solchen Rahmen­bedingungen noch einen Club betreiben? 

 Dieter Buchelt  im Januar 2012

 

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