Von Ulrich Nowraty
Die Bildmedien bedienen sich lichtempfindlicher Filmschichten
oder der elektronischen Bild-Aufzeichnung, um in der Natur
gegebene Tatbestände gestaltet oder ungestaltet
wierderzugeben. die Aufgabe besteht darin, die Helligkeit-bzw.
Farbwerte möglichst naturgetreu entsprechend den vorgegebenen
Verhältnissen zu fixieren, um sie in der Regel dem Betrachter
unmittelbar oder mit Hilfe optischer Systeme entsprechend
sichtbar zu machen.
Die Praxis zeigt, daß der Betrachter, um den gewünschten
Eindruck zu gewinnen, einer gewissen "Erziehung" seines
Gesichtssinnes bedarf. Er muß erst die bedingten Reflexe im
"Pawlowschen Sinne" bilden. Diese bedingen Reflexe gehören zu
einem zweiten Signalsystem, über das z.B. Tiere nicht verfügen,
denn diese reagieren auf die Vorführung von Filmen nicht und
auch Kinder müssen erst richtig sehen "lernen". Dieses Lernen
besteht darin, daß man den realen Raum, den der Betrachter mit
seinen Sinnesorganen wahrnehmen kann, dreidimensional mit
dem aufgezeichneten Bild assoziieren lernt, in dem die beiden
Fakten zu zeitweilig bedingten Reflexen verbunden werden.
Damit tritt die Bildaufzeichnung an die Stelle des Originals und
wir erleben alles, als ob es sich wirklich so abspielen würde, die
fast perfekte Illusion.
Eine lange Tradition haben die sogenannten Hintergrundbilder
(Backgrounds), die als Egänzung einer Dekoration durch ein
Großfoto eine gute Bildwirkung haben und kostspielige Requisiten
und Naturaufnahmen einsparen.
Dabei wird vor dem Großfoto eine sogenannte Vorbühne
aufgebaut, die sich dem Foto anpasst und auf der das
eigentliche Motiv sich befindet.
Die moderne elektronisch-digitale Bildaufzeichnung- und
Bearbeitung hat nahezu unbegrenzte Möglichkeiten mit
erstaunlichen Spezialeffekten.
Im Prinzip ist das Bild in seiner Wirkung auf den Betrachter nicht
anders zu bewerten als eine Theateraufführung oder ein
gelesener Roman. Es ist möglich, im Film Sprünge über Raum
und Zeit zu machen, wie das bei allen dramatischen und
epischen Dabietungen geschieht. Es können bestimmte Details
für das Ganze sprechen. so muß z.B. nicht das ganze Zimmer
gezeigt werden. es genügt eine Wand, die ein typisches Detail
eines Zimmers darstellt, wiederzugeben.
Der Betrachter hält aus seiner "Erfahrung", das heißt mit Hilfe
eines bedingten Reflexes, dies Wand für das ganze Zimmer.
Auch die Großaufnahme vermittelt dem "gelernten Zuschauer"
nicht nur einen Kopf, der vom Körper getrennt ist, sondern das
"Detail Kopf" spricht für das Ganze, für einen volständigen,
einheitlichen Menschen. Aber dazu gehört Erfahrung und eine
Merkfähigkeit, die uns selbstverständlich erscheint.
So wie mit dem Detail hinsichtlich des Raumes, steht es auch mit
dem Detail der Zeit. Schon längst hat der Filmbetrachter gelernt,
daß es keine zeitlichen Sprünge gibt, auch wenn der Film mit
solchen Zeitsprüngen arbeitet. Er nimmt das zeitliche Detail, z.B.
das Abspringen aus dem Flugzeug und das Aufkommen auf der
Erde als eine zeitlich geschlossene Handlung des
Fallschirmspringers wahr, auch wenn er den Vorgang
des Fallens in die Tiefe nicht gesehen hat. Dank dieser Tatsache
ist es möglich , in einem Film von 90 Minuten die geschichtlichen
Abläufe von Jahrtausenden zu zeigen, wobei dem Betrachter die
fragmentarische Darstellung unbewußt ist. Auch sogenannte
Zeitlupen- oder Zeitraffer-Aufnahmen sind bei der filmischen
Umsetzung eine beliebte Animation für eine optimale
Bildwahrnehmung und Gestaltung.
Was bedeuten diese Tatsachen und Feststelluingen für die
Praxis der Bildwahrnehmung ?
Es kommt nicht darauf an, die Natur in ihrer räumlichen und
zeitlichen Dimension "naturgetreu" wiederzugeben, sondern
an vorhandene bedingten Reflexe anzuknüpfen und neue
bedingte Reflexe zu schaffen. Mit deren Hilfe wird dem Betrachter
eine in Raum und Zeit gegebene Handlung vermittelt, wobei er
im Grunde ein ähnliches Erlebnis empfindet wie in der Natur.
Dabei wirkt allerding ständig die Tatsache mit, daß er sich auch
des nicht realen, sondern nur mit mehr oder weniger künsterischen
und künstlicher Mittel gestalteten Geschehens bewußt wird.
So wirkt z.B. der Tod eines Menschen im Film wie der reale Tod
als bedingter Reflex, aber gleichzeitig oder unmittelbar danach
wirkt die Tatsache, daß es nur "Spiel" ist. Dabei ist aber wesentlich,
daß die erste Wirkung künsterisch so verstärkt wird, zumindest
für einen Augenblick, sonst kommt die Emotion wie beim realen
Vorgang nicht zustande.
Nur wenn die ausgelösten bedingten Reflexe stärker, d.h.
realistischer sind als der Störeffekt der Nichtrealität, kommt es
zu einer optimalen Bildwahrnehmung und damit zum "echten"
Erlebnis.
(E.A.M. Berlin U.N. 12/2020)