Zur Hypothese der wachsenden Wissenskluft und das Internetnutzerverhalten

Von Ramin Rowghani

 

Zur Hypothese der wachsenden Wissenskluft und das Internet-Nutzer-Verhalten

 

Bestimmte medientheoretische Gebilde sind für Medienpsychologen und Medienpädagogen, also für unseren Leserkreis von immanenter Bedeutung. Die einmal im Studium erlernten und angeschnittenen Theorien verfliegen, wenn sie nicht wieder in Erinnerung gerufen werden und vor allem in einen neuen, also modernen Zusammenhang gestellt werden. Eine dieser Theorien ist die „Hypothese der wachsenden Wissenskluft“, die Prof. Saxer 1978 aufgestellt hat und zu jener Zeit für Wirbel gesorgt hat. Theorien, die nur im Zeitzusammenhang stehen, verlieren mit fortschreitender Zeit ihre Gültigkeit. Andere, die ähnlich Naturgesetzen, zeit- und quasi gesellschaftsunabhängig sind, gewinnen sogar an Bedeutung durch die Einflüsse neuer Impulse, die der Zeitgeist und die Weiterentwicklung mit sich bringen.

Meilenstein der Medienforschung kann Saxers „WISSENSKLUFTTHEORIE“ angesehen werden. Schon der kernige Name dieser Theorie läßt auf den Inhalt ziemlich deutlich schließen. Was bei vielen Medientheoretikern oft unklar und verklausuliert vorgestellt wird, zeigt sich beim Züricher Publizistik-Professor Ulrich Saxer eindeutig und ohne Pathos. Seine Theorie entspricht vieler unbewußter Wahrnehmungen, ohne daß sie verbalisiert wurden. Warum ist „Wissen“ innerhalb der Gesellschaft ungleich verteilt und welche Rolle spielen die Medien in diesen Prozessen? Sie gelten ja als die „Gleichmacher“ und es wird von ihnen erwartet, Individuen verschiedener Stände in die Gesellschaft zu integrieren. Den rein psychologisch-pädagogischen Aspekt (Kindheit/Sozialisation) lassen wir hier in dem medientheoretischen Kontext außer acht, obwohl er einen enormen Einfluß hat.

 

Saxer geht davon aus, daß spezialisierte Medienangebote, die für die soziale Kompetenz von Bedeutung sind, stärker und tiefer von gesellschaftlich priviligierten Bevöllkerungskategorien nutzbar gemacht werden als von anderen Schichten. Mehr Medienangebote heißt also nicht „Mehr Wissen für alle, die es konsumieren“! Vielmehr eigenen sich Bevölkerungsschichten mit höherem sozio-ökonomischem Status und entsprechend höherer Bildung zusätzliche Wissensangebote rascher und tiefgehender an. Das Resultat ist, daß die geistige Oberschicht schneller mehr weiß als die geistige Unterschicht, die sich wegen der Fülle der Medieninformationen immer weniger wesentliches aneignet. Somit nimmt die WISSENSKLUFT zwischen beiden Bevölkerungsschichten zu satt ab. Dies gilt besonders bei den Printmedien, da dort LESEKOMPETENZ vorausgesetzt wird, die oft nicht ausreichend vorhanden ist, weil sie z.B. in der Schule nicht ausreichend gelehrt wurde, bzw. der ehemalige Schüler aufgrund von psychischen Blockaden (Spannungen im Elternhaus etc.) sie damals nicht erwerben konnte. Saxer selbst erweiterte seine Theorie zur „Kommunikationseffekte-Kluft-Hypothese“ , bei der erforscht wurde, daß Medienkompetenz nur dann gesteigert werden kann, wenn eine entsprechende Motivation dafür besteht bzw. geweckt werden kann.

 

Junge Leute, die wenig gelesen haben, sondern sich eher dem Visuellen hingaben, die auch als „Nur-Seher“ (vgl. Bonfadelli & Saxer 1986) kategorisiert werden, bauen sich eine Argumentation gegen das Lesen auf, das vom Zeitmangel bis zum hohen Buchpreis die Palette abdeckt. Ihnen eine Lesekompetenz zu vermitteln ist nicht einfach, weil die Phase, in welcher man jene entwickelt, die Schulzeit im wesentlichen ist. Darum muß dem Individuum verdeutlicht werden, was seine beruflichen und gesellschaftlichen Ziele sein können und werden und daß sie im wesentlichen von der eigenen Anstrengung abhängen. Dosierte Fernsehkompetenz kann sogar die Lesekompetenz unterstützen.

Auch hier macht Dosis und Qualität den Verfall oder die Optimierung von Wissen. Wenn durch das „Literarische Quartett“ oder politischen Diskussionsrunden mit markigen Teilnehmern beim Fernsehrezipienten Freude am Thema geweckt wird und daraus der Griff zum Printmedium resultiert, mit dem dann sinnvoll umgegangen wird, dann hätte auch das Fernsehen seinen Sinn und Erfolg. Nur liegt die Gefahr beim Fernsehen im „Vielsehen“ und „Wahllos-Sehen“, wodurch automatisch jegliche differenzierte Wissensrezeption behindert wird und wir wieder bei Saxers Wissensklufttheorie angekommen sind.

 

Das Lernen durch Vielsehen führt zur Entdifferenzierung der Perzeption, hingegen das Viellesen gezielter Inhalte führt zum Strukturwissen, was bedeutet, daß das eigenständige Erkennen von Hintergründen und Beziehungen gefördert wird. Die Erweiterung der Theorie der wachsenden Wissenskluft auf neue Medien der Jahrtausendschwelle birgt interessante Aspekte in sich, die noch ein größeres Forschungsfeld bieten. Die neue Informationstechnologie hat Auswirkungen auf viele Lebensbereiche, vom Arbeitsplatz bis zum Privatleben, wobei sowohl der Wissenserwerb als auch die Art der Kommunikation von Bedeutung sind, und beide Disziplinen sich mit den neuen Medien, insbesondere dem Internet verbinden.  An der FU-Berlin untersuchte der Mediensoziologe Prof. Lutz Erbring vom Institut für Publizistik die Internetnutzung, dabei fand er heraus, daß die Internetzugangsrate in den USA deutlich höher ist als in Deutschland.

 

Dieses neue Medium erweist sich in Amerika als „Massenphänomen“, u.a. weil man praktisch dieses Medium ohne finanziellen Aufwand unbegrenzt nutzen kann. Erbring bestätigt auch hier, daß die Wissensklufttheorie ihre Berechtigung hat, obwohl sie 20 Jahre alt ist, sie macht also auch vor den modernen Kommunikationsmitteln keinen Halt. Das Internet werde in Deutschland sehr viel häufiger von Personen mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommenskategorien genutzt. Die häufige Internetnutzung ( auch die älteren Medien ) führt zu Veränderungen im Bereich der Lebensweise im weitesten Sinn. Die Gefahren von Isolierung sind unübersehbar, also dem Ersetzen des realen Kommunikationspartner durch das Medium (Internet., E-Mail), ebenso werden vermehrt Schlafmangel und Minderung der Schlafqualität beobachtet, sowie Konzentrationsschwierigkeiten u.ä. Andererseits öffnet das Internet vielen eher verhaltenen Kommunikationspartnern die Pforte zur häufigeren und vor allem spontaneren Kommunikation. Wie entspannt kann sich der eine Partner zu irgend einer Tages – oder Nachtzeit beim anderen „melden“, indem er einfach eine E-Mail sendet? Gleiches gilt übrigens auch für die SMS - Handyübertragungen, eine Kurznachricht absenden - wann immer und wo immer man möchte: Der Partner empfängt sie dann, wann er will, oder automatisch, wenn er das Gerät (Handy/PC) anstellt. Die gewisse Unverbindlichkeit dieser Kommunikationsweise läßt oftmals Menschen eher kommunizieren als bei der direkten Kommunikation. Vor Anrufen scheuen sich viele, da sie nicht wissen, in welcher Stimmung sie den Partner erreichen, außerdem herrscht zwischen den Telefonierenden eine höhere Anspannung, da ja auf jedes gesprochene Wort im der Stimmung gemäßen Tonfall sofort eine emotionale Reaktion folgt, die nicht immer angebracht ist, da sie oft zu spontan und unüberlegt erfolgt. Zu den positiven Effekten der Internetnutzung zählen sicherlich die Reduzierung der Ladenbesuche, die bis zum tatsächlichen Kauf aufgeschoben werden können, zumindest zum Zweck der Produktinformationen und dem Vergleich der Preise, von der enormen Zeitersparnis einmal ganz abgesehen. Sonderangebote werden dann wohl eher direkt vor Ort geprüft. Zusammenfassung zur Internetstudie: Erbring kritisiert am Internet die totale Unübersichtlichkeit und er lobt die unbegrenzten Informationsressourcen. In den USA ist der Anteil der Personen mit Zugang mit 55% erheblich größer als in Deutschland (29%), er wird auch dort insgesamt intensiver genutzt. Hier empfindet die Bevölkerung die Kosten zum Zugang und für den Provider für zu hoch (62%) der Befragten.

 

Die hauptsächliche Nutzung des Internet ist in den USA wie in Deutschland E-Mail. 80% der Befragten versenden mindesten eine E-Mail, was zum Vorteil hat, daß auch Dokumente und Bilder übertragen werden können. In beiden Ländern wird das Internet stark als Informationsmedium für fast alle Bereiche des privaten und beruflichen Lebens genutzt. Das Internet hat große Auswirkungen auf das Zeitbudget der Nutzer: 41% geben an, weniger fern zu sehen, 33 % schlafen sogar weniger (!), 20 % lesen weniger Zeitung, 18% verbringen weniger Zeit mit der Familie und 12% schränken die Zeit für den Freundeskreis ein. (FORSA: Juliusstr.14, 12051 BERLIN)

 

Das Lernen durch diese neuen Medien (Medienpädagogik) läßt sich als System und Interaktionszusammenhang um die Förderung von Medienkompetenz begreifen, wobei auch alle elementaren Probleme sozialer Systeme wie Integration, Umweltanpassung, Zieldurchsetzung und Strukturerhaltung zu lösen sind. Wie immer fördern und stimulieren neue Medien auch die alten, da der moderne Mediennutzer schnell in die Reizüberflutung des Neuen gelangt und sich sehr gerne wieder dem alten Medium als Entspannung und Schaffung einer gewissen Ordnung bedient, darum wird der Griff zum Buch auf dem Balkon, einer sonnigen Parkbank oder im Zug immer wieder von neuem eine Freude sein, da Bildung und Wissen zum reinen Genuß führen.

 

Literatur: Saxer, Ulrich: Medienverhalten und Wissensstand- zur Hypothese der wachsenden Wissenskluft, München 1978 - in Verbindung mit: Saxer (Hg.): Gleichheit oder Ungleichheit durch Massenmedien? Schriftreihe der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, 10, München 1985 -FU-N (FU-Nachrichten) Erbring, Lutz: Forsa-Studie zur Internet-Nutzung,

 

(E.A.M.-Juli 2000 R.R.)

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Kommentare: 1
  • #1

    Klaus-Dieter Peterson (Sonntag, 22 November 2015 21:16)

    Mein lieber Ramin,immer wieder bin ich begeistert von der Art und Weise Deines Schreibens und Deiner
    Gedankengänge.Natürlich gibt es immer ein"Für und Wider",weswegen dein Artikel discusionswürdig ist.
    Habe viel erfahren und gelernt.Meine Großmutter empfal ich solle viel lesen,denn das bildet.
    Herzlichst O.K.