Digitales Erbe: Was vom online-Leben übrig bleibt

                                                                                                                        Von Jens-Michael Groß

 

"Das letzte Hemd hat keine Taschen" sagte meine Großmutter oft, wenn sie mir eine (mitunter auch größere) Kleinigkeit zusteckte. Als Kind konnte ich mit diesem Ausspruch nichts anfangen. Später wurde mir klar, dass sie damit unter anderem auf ihr Alter anspielte und dass sie ihre bescheidenen Mittel lieber dafür ausgab, sich und anderen eine Freude zu machen, anstatt sie für eine mögliche Zukunft - oder ihre Erben - zu horten.
Doch erst viele Jahre später habe ich verstanden, das hinter dieser Redewendung noch viel mehr steckt, auch wenn denen, die sie benutzen, diese erweiterte Bedeutung meist auch nicht ganz klar ist.

 

Wenn ein Mensch stirbt, dann nimmt er nichts mit. Das gilt für weltliches Gut und Geld, aber auch für immaterielle Dinge. Dazu gehören Verträge, die er zu Lebzeiten geschlossen, Verpflichtungen, die er eingegangen ist.


Ein Mietvertrag endet nicht, nur weil der Mieter gestorben ist. Ebenso wenig ein Mobilfunkvertrag. Auch wenn der Verstorbene keinen Nutzen mehr daraus ziehen kann, hält das die Vertragspartner in den seltensten Fällen davon ab, ihrerseits weiteren Nutzen zu ziehen.


Gelegentlich ist ein Sonderkündigungsrecht vereinbart, aber nur sehr selten enden Verträge automatisch. Und meist sind dies nur Fälle, in denen der Verstorbene Leistungen bezogen hat (Rente etc.). In der Regel obliegt es den Erben, unter Einhaltung der Kündigungsfrist eine Kündigung auszusprechen. Und bis zum Erlöschen des Vertrages den damit verbundenen Verpflichtungen nachzukommen.

 

Im Falle eines Mietvertrages mag das von Vorteil sein: man hat die Möglichkeit, in aller Ruhe den Haushalt aufzulösen. Außerdem ist das Vorhandensein eines Mietvertrages offensichtlich. Ebenso Strom und Gas. Auch bezüglich (Festnetz-)Telefon oder KFZ-Haftpflicht besteht meist Klarheit darüber, dass ein entsprechender Vertrag vorhanden sein dürfte.


Anders gestaltet es sich bei vielen anderen Verträgen, insbesondere bei solchen, die im Nachhinein abgerechnet werden, womöglich im jährlichen Turnus. Dann flattert viele Monate nach Auflösung des Haushalts plötzlich ein Schreiben von einem Inkassobüro auf den Tisch, in dem die Forderungen für gar nicht mehr erwünschte/benötigte/genutzte oder überhaupt nutzbare Leistungen mit gesalzenen Gebühren für vergebliche Mahnungen, die Feststellung des Erben und ggf. sogar die Erlangung eines gerichtlichen Schuldtitels garniert wurden. Und wurde das Erbe angetreten, sind die Forderungen rechtmäßig. Es sind durchaus Fälle bekannt, wo sie den Wert der Erbmasse signifikant übersteigen - wovon der Erbe bei Antritt des Erbes gar keine Kenntnis hatte. In vielen Fällen nehmen die Gläubiger unter Vorlage der Sterbeurkunde von ihren Forderungen Abstand, aber ein Anspruch darauf besteht nicht.

 

Kann man derartige Klippen bei schriftlich abgeschlossenen Verträgen oft noch durch eine akribische Suche in den Unterlagen des Verstorbenen umschiffen, so versagt der Spürsinn des aufgeklärten Erben spätestens dann, wenn es sich um die Aktivitäten des Verblichenen im Internet handelt.


Die Mitgliedschaft in einem Online-Forum, ein online-Kundenkonto bei einem Internet-Händler, ja sogar das Bereitstellen von Postfächern unter einer vom Verstorbenen betriebenen Domain, allen diesen Dingen liegen Verträge zu Grunde, die der Verstorbene mündlich, in Text- oder Schriftform geschlossen hat.


So führt das Kündigen einer Domain dazu, dass die für dritte bereitgestellten Postfächer mitsamt ihrem Inhalt plötzlich verschwinden - Ärger ist vorprogrammiert. Umgekehrt bedeutet ein Erbschein nicht zwangsläufig, dass der Erbe Zugriff auf die Kundenkonten des Verstorbenen einfordern kann, oder deren Löschung beauftragen kann. Ist ein Passwort bekannt, so kann er dies zwar stellvertretend für den Verstorbenen tun, bewegt sich dabei aber auf rechtlich unsicherem Terrain - sofern eine Löschung überhaupt möglich ist. Kürzlich haben die Eltern eines durch Selbstmord verschiedenen, minderjährigen Mädchens Zugriff auf deren Facebook-Account verlangt, um Hinweise auf die Hintergründe zu erlangen. Facebook hat dies verweigert und wurde von einem Gericht darin bestätigt. Obwohl die Eltern nicht nur Erben, sondern auch Erziehungsberechtigte waren. Der Account existiert noch immer, bis er wegen Inaktivität eines Tages deaktiviert und - vielleicht - gelöscht wird.

Die Lösung des Problems muss zu Lebzeiten vorbereitet werden. Niemand verfasst gerne ein Testament, da dies dem Eingeständnis der eigenen Sterblichkeit gleichkommt. Insbesondere jüngere Menschen denken zudem, dass sie bis zu ihrem Ende noch viel Zeit haben. Doch niemand ist gegen Krankheit oder Unfall gefeit. Ähnliches gilt für eine sog. Patientenverfügung, die unabhängig von Verwandtschaftsbeziehungen bestimmt, wer z.B. im Falle eines Komas über den bewusstlosen, nicht selbst entscheidungsfähigen Patienten entscheiden darf. Fehlt sie, kann das Gericht eine beliebige Person bestimmen, die dann entgegen der Wünsche des Ehepartners nicht nur über Leib und Leben, sondern in gewissen Grenzen sogar Vermögen des Patienten entscheiden kann - und dafür in der Regel auch noch vom Vermögen des Patienten fürstlich bezahlt wird. Dennoch haben nur wenige Menschen eine solche Patientenverfügung aufgesetzt.

 

In Bezug auf das digitale Leben kann man zwar ein klassisches Testament um entsprechende Passagen erweitern, die den Erben das Recht auf Zugriff auf online-Konten einräumen. Trotzdem sind hier jede Menge bürokratische Hürden zu erwarten.
Viel einfacher ist es, wenn unabhängig - und idealerweise ergänzend zu einem Testament - ein Dokument existiert, in dem online-Zugänge, Passwörter und evtl. noch Informationen über die letztendliche Vorgehensweise aufgelistet sind. Auch 'offline'-Verträge können hier natürlich erfasst werden.

 

Es empfiehlt sich, dieses Dokument nicht auf dem PC aufzubewahren. Ein Ausdruck gehört zu den anderen schriftlichen Unterlagen (z.B. Versicherungspolicen etc.). In elektronischer Form sollte es sich nur auf einem separaten USB-Stick befinden, der nur bei Änderungen verwendet wird und ansonsten ebenfalls bei den schriftlichen Unterlagen aufbewahrt wird.


Die Pflege eines solchen Dokumentes ist natürlich lästig. Aber neben dem Sinn, seinen Erben keine unnötigen Probleme zu verursachen, hat es auch den positiven Nebeneffekt, dass man selber nicht den Überblick über sein online-Leben verliert und bei Bedarf auch ein vergessenes Passwort nachschlagen kann.

 

J.-M.-G.

 

(E.A.M.-Berlin/ J-M.G.. 04-2018)

Kommentare: 2
  • #2

    Jens-Michael Groß (Sonntag, 15 Juli 2018 12:50)

    Nachtrag: Im genannten Falle des Selbstmorden, in dem Facebook den Eltern den Zugang zum Account ihrer Tochter verweigerte, hat der BGH am 12.8.2018 unter dem Aktenzeichen Az. III ZR 183/17 eine Grundsatzentscheidung gefällt. In der Urteilsbegründung betonte der vorsitzende Richter, dass es keinen Grund gäbe, Internetdaten erbrechtlich anders zu behandeln als Briefe und Tagebücher.
    Damit endet ein 5 Jahre dauernder Kampf der Eltern. Noch im Mai 2017 hatte das Berliner Kammergericht die Haltung von Facebook in einem Urteil unterstützt.
    Grundlage der Entscheidung sei u.a. der Nutzungsvertrag zwischen dem Mädchen und Facebook gewesen: Rechte und Pflichten aus einem solchen Vertrag seien auf die Eltern als Erben übergegangen.

  • #1

    Reiner (Mittwoch, 20 Juni 2018 04:16)

    Vielen Dank, sehr spannend und aufschlußreich!